Tore Leifer: Porträt von Mads Elung-Jensen
Es ist scheinbar weit von den bachschen Evangelisten und von Schuberts selbstmordgedrohten Junggesellen zu gewagten Kabaretts von Gender und Geschlechtskrankheiten, von Krieg und Liebe, von Besatzung und Befreiung. Aber Mads Elung-Jensen ist als Sänger grundsätzlich ein Storyteller, wie die alte Baronesse Karen Blixen gesagt hätte.
Mads erzählt Geschichten, wenn er Schuberts Die schöne Müllerin und Winterreise singt, wenn er uns von der leuchtenden Verliebtheit zum Zusammenbruch und Selbstmord führt, ins verlockende, lindernde Wasser des Baches oder weit weg in den Schnee und in die Einsamkeit des Winters.
Mads erzählt die – für manche – größte und ultimative Geschichte, wenn er das Geburt Jesu feiert oder unsere Hand nimmt und uns durch desgleichen Leiden und Tod in der Johannes-Passion oder Matthäus-Passion begleitet.
Er erzählt Geschichten, wenn er Benjamin Brittens elegante Volkslieder von umgebrachten schottischen Grafen und ermordeten Schulkinder singt.
Und mit seinen Kabarett-Vorstellungen schafft Mads selbst die Geschichten, er webt in seiner ganz eigenen Mischung von Edith Piaf-Liedern, Comedian Harmonists, Marlene Dietrich, Brecht und Weill die nahe und die große Geschichte zusammen, um u.a. über das funkelnde erotische Leben voller Sex, Drogen, und vielfaltigen Geschlechten im babylonischen Berlin der 1920’er.
Er schreibt neue Texte auf sowohl Deutsch als auf Dänisch, er übersetzt hin und zurück von sowohl Französisch, Deutsch als Dänisch, windet sich mit raffinierten Reimen und scharfen Pointen. Mads ist ein sehr intelligenter Sänger und eine sprachliche Begabung – er spricht nicht weniger als sieben Sprachen – mit einem unersättlichen Appetit auf das Leben in all seinen vielfältigen Facetten.
Und wenn ich diesen farbreichen Tenor und Kabarett-Artist bei Vornamen nenne, kommt es daher, dass ich Mads seit 1984 kenne, als wie beide das musikwissenschaftliche Studium an der Universität von Kopenhagen begannen.
Eigentlich sahen wir einander monatelang etwas misstrauisch an – wer war denn dieser ewig singende und lärmende Kerl? – aber dann wurden wir Freunde und warfen uns um Note nach Note, Partitur nach Partitur hinein, ich selbst als begeisterter blattspielender Pianist und Mads mit Todesverachtung und enormem Selbstvertrauen.
Drei Jahre später zogen wir beide von der Universität bis zur königlichen dänischen Musikhochschule weiter, wo mehrere Mitstudenten meinten, dass wir mit unseren – damals – funkelnden dunklen Haaren und strahlenden blauen Augen Brüder sein müssten. Das waren wir nicht, aber seitdem sind wir Freunde, mit wechselnder Intensität, und haben die letzten Jahre die Freude gehabt eine Reihe von Konzerten zusammen zu gestalten, wo wir die Musik und Gesangtexte mit begleitender Erzählung gemischt haben. Konzerte mit Erzähler.
„Unser schwacher Mut“ hieß unsere Konzertreihe von der Verantwortung des einzelnen Menschen, angesichts Diktatur und Krieg. Starke Texte von Gustaf Munch-Petersen, Tom Kristensen, Bertolt Brecht und Paul Celan – mit intensiver, einfühlsamer, ab und zu auch schwieriger und gewaltsamer Musik von Peter Bruun, Alexander Muno und Aribert Reimann (das Hauptwerk „Engführung“). Konzerte, die wir in Kopenhagen (u.a. im LiteraturHaus), in Roskilde, in Helsingør, in Bornholms Kunstmuseum und in der dänischen Botschaft in Berlin aufführten.
„Die Winterreise und das Hungerherz“ heißt unsere Konzertreihe mit der Autorin Karen Fastrup, wo Schuberts Winterreise im Zusammenbruch und in der Borderline-Psychose von Karen Fastrups ergreifendem Roman gespiegelt wird. Konzerte, die wir im LiteraturHaus aufgeführt haben und die wir – wenn Covid erlaubt u.a. in der dänischen Botschaft in Berlin aufführen werden.
„Enivrez-vous – Berauscht euch!“ heißt unsere kommende Konzertreihe mit französischen und dänischen Dichtern, Baudelaire, Verlaine, Rimbaud und Emil Aarestrup und ganz neuen Werken (Uraufführungen) für die Gelegenheit von Komponisten aus sowohl Frankreich und Dänemark geschrieben.
Noch ein Beispiel, dass die Musik und der Gesang für Mads ganz einfach Storytelling ist. Ungeachtet wie schlicht und schmeichelhaft, oder wie schwierig und fordernd die Musik ist – Mads findet die Geschichte darin und erzählt sie so, dass das Publikum am anderen Ende des Stuhls sitzt und an seinen Lippen hängt.
Mads Elung-Jensen wurde 1965 in Vissing bei Hadsten im schönen Ost-Jütland geboren, hier sang und trällerte er schon als Kind und als Kirchensänger in der Oberschulzeit in Randers.
Er und ich wurden (wie ober erzählt) 1987 auf Die königliche Dänischen Musikhochschule zugelassen. Von hier absolvierte Mads 1993 die musikpädagogische Diplomprüfung und machte 1995 sein Debut von der Solistenklasse, von Prof. Bodil Gümoes ausgebildet.
Eine entscheidende Begebenheit für Mads war die Begegnung mit dem schweizerischen Tenor Ernst Haefliger. Mads nahm sechs Jahre lang teil in Haefligers Meisterkursen in Zürich und nahm auch Privatunterricht bei ihm in München und Davos. Mit ihm studierte er die Evangelist-Partien in Bachs Passionen, die großen Liederzykeln von Schubert und Schumann und die klassischen Tenorrollen in Mozarts Opern.
In seinen Studienjahren sang Mads Elung-Jensen u.a. im dänischen Rundfunkchor. Hier wurde er vom Chormeister, Professor Uwe Gronostay entdeckt, nach Berlin eingeladen, wo er 1992 sein deutsches Debut als Tenorsolist in Mozarts Requiem in der Berliner Philharmonie hatte.
Mads Elung-Jensen war 1990-1994 Louise Lerche-Lerchenborgs Assistent bei den Lerchenborg Musiktagen. Die Begegnungen mit sowohl dänischen als ausländischen Komponisten erweckten sein Interesse für die zeitgenössische Kompositionsmusik und für die enge Zusammenarbeit mit jedem einzelnen Komponisten, und Mads hat seitdem zahlreiche Werke uraufgeführt.
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