Leg deinen Panzer weg – Gedanken zum Welt-AIDS-Tag 2024
„Frag nie, wie es in den 80ern und 90ern war!“
So las ich neulich auf dem Datingprofil eines jüngeren Mannes. Offensichtlich schrieb er das nicht aus mangelndem Interesse, sondern weil die Zeit ihm zu schrecklich schien.
Es ging um AIDS, um das tödliche, oft sexuell übertragene HI-Virus, das Infizierte damals unheilbar krank machte.
Ärzte gaben der Krankheit 1982 ihren Namen: „Erworbenes Immunschwächesyndrom“. Unvorstellbare 14 Jahre vergingen, bis 1996 die antiretrovirale Kombinationstherapie entwickelt und bei HIV/AIDS-Patienten erstaunlich erfolgreich eingesetzt wurde. Das Todesurteil hatte sich somit in eine chronische Krankheit verwandelt. Gleichwohl ist eine HIV-Infektion noch immer eine lebenslange gesundheitliche Herausforderung.
Ich erinnere mich noch ganz gut, wie ich mein HI-Virus bekam. Im Winter 1986/87 hatte ich eine kurze Affäre mit einem tollen Mann. Einige Jahre später traf ich ihn in einer Bar. Er sah sehr angeschlagen aus und erzählte mir, dass er sterben werde. Mit Anstand und Würde. Wir hätten (schönen) ungeschützten Sex gehabt, und ich sollte es wissen.
Aber eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Meine Technik damals war so: Ich las nichts in den Zeitungen, hörte nichts im Radio, sah mir nichts im Fernsehen an, was mit AIDS zu tun hatte. Ich blockierte einfach alle Infos. Seit 1985 hatte ich keinen HIV-Test gemacht. Ich war Anfang 20, voller Lebens- und Abenteuerlust. Sollte ich immer total verängstigt rumlaufen?
Erst 1998, 13 Jahre später, bat ich meine Hautärztin um einen Test. Im Jahr zuvor hatte ich 12 Kilo abgenommen, mein Gesicht war voller Flecken und es ging mir schlecht.
Der Test war natürlich positiv. In der Kopenhagener Universitätsklinik begann ich dann die neue Kombinationstherapie. Das Virus war schon bald nicht mehr nachweisbar, mein Immunsystem erholte sich. Eine Zeit lang hatte ich das dringende Bedürfnis, allen alles zu erzählen, dann zog ich mich aber auf die vertraute Technik zurück, einfach nichts zu sagen und so wenig wie möglich nachzudenken.
Die 16 täglichen Tabletten verwandelten sich über die Jahre in eine abendliche Pille.
Jetzt Mitte 30 war ich immer noch voller Lebens- und Abenteuerlust.
Und doch dauerte es, emotional wieder auf die Beine zu kommen, und durch seltsame Entzündungen in meinen Knien verging mir etwas die Abenteuerlust. Meine einst so vielversprechende Karriere konnte ich nicht fortsetzen. Nicht zu singen war viel schwieriger als quasi zu sterben.
Aber irgendwann fand ich wieder auf die Konzertbühne zurück und eine Form, mit den gesundheitlichen Einschränkungen zu leben. Die Entzündungszustände haben sich inzwischen so gut wie gelegt.
Inzwischen genieße ich es mit mir allein sein und mich mit mir selbst auseinandersetzen.
Wenn die Themen ab und zu ans Licht kommen, so wie jetzt in diesem Text, sehe ich keine Monster mehr, sondern eher ganz einfach unausgesprochene Einsamkeit und Angst vor Ablehnung. Diese Gefühle teile ich sicherlich mit dem größten Teil der Menschheit.
Neulich bot mir mein Arzt eine Depot-Spritze an. Die Wissenschaft hat eine neue Therapie entwickelt, ich muss jetzt keine Pille am Abend mehr schlucken. Auch wenn es kein Problem war, die Tablette zu nehmen und das Virus immer noch da ist, fühlt es sich sehr befreiend an.
Jetzt Ende 50 freue mich ich immer wieder, meine sehr geschätzte Lebens- und Abenteuerlust neu zu entdecken.
Es ist ein großes Glück, dass die Herausforderungen der 80’er und 90’er Jahre heute für die jüngeren Generationen unvorstellbar scheinen können.
Eines Tages wird sicher auch eine Heilung von AIDS und HIV möglich sein. Wahrscheinlich werden die meisten von uns den Tag erleben. Ich freue mich sehr darauf.
Bis dahin sehe ich es als meine tägliche Übung, es so zu machen, wie ich es im Lied geschrieben habe:
„Leg‘ deinen Panzer weg.
Ruhig und ohne Schreck,
er schützt dein Heil die tausend Mal,
dank ihm dieweil, heut ist’s egal.
Leg deinen Panzer weg“.
Ich wünsche uns allen einen schönen, lebensbejahenden Welt-AIDS-Tag.
Mads Elung-Jensen
Berlin, 26. November 2024
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