Es ist schwer genug, mit Themen wie sexueller Identität, sexuellen Krankheiten, Drogen und Todesängsten zu kämpfen. Es hilft, darüber sprechen zu können. Aber wie kommt man dazu?

Bist du normal?

2013 gab man mir 4 Beratungstermine bei einer ehemaligen Schauspielerin, die sich als Coach für Künstler weitergebildet hatte.

Sehr oft bin ich immun gegen wohlgemeinte Ratschläge. Das hat seine Vorteile. Ich hätte zahllose Male mit dem Singen aufgehört, wenn ich äußeren und inneren Stimmen gehorcht hätte, die mich rieten, lieber etwas Vernünftiges zu machen.

Ab und zu habe ich zugehört, und dieses Mal war es so. Zu dem Zeitpunkt hatte ich eine beachtliche künstlerische Vergangenheit, die sich allmählich ein weites Stück weg  befand und ich kämpfte, um eine erträgliche Gegenwart und eine fruchtbare Zukunft zu schaffen.

Ich hatte viele Ideen, aber ich konnte nicht herausfinden, wie sie zu verwirklichen waren, und ich scheute mich, das zuzugeben.

In der ersten Sitzung habe ich locker über meine Erfolge, Talente und Ideen gesprochen. Mein Coach ließ mich frei sprechen. Als ich aber in der zweiten Sitzung fortfuhr, fragte sie leise: „Ist das wirklich wahr?“

„Nein!“ hörte ich mich sagen und sprach weiter. „Lügst du jetzt?“ fragte sie. „Ja!“ sagte ich aufgeregt. „Warum machst du das?“

Ich überlegte ein wenig, „Weil ich nicht alles gemacht habe, was meine normalen Kollegen getan haben?“

„Nun, bist du normal?“

Vielleicht nicht ganz so.

„Wenn man älter wird, merkt man, dass die Lücken im Lebenslauf die interessantesten in der Karriere sind,“ fuhr sie fort. Das waren weise Worte.

Ich war noch nicht bereit, diese zu beherzigen, als ich damit voll beschäftigt war, eine der größeren Lücken zu schaffen.

Aber meine spektakulären Lücken haben inzwischen gezeigt, so viel Substanz zu besitzen, dass ich mir ein sehr schönes und sinnvolles künstlerisches Dasein schaffen konnte. Und es lohnt sich, davon zu erzählen.

Schulfoto 1975

Todesangst

Als ich 8-10 Jahre alt war, auf dem Land außerhalb von Randers in Dänemark, wurde mir plötzlich klar, dass ich eines Tages sterben würde.

Es war eine Zeit der Turbulenzen zu Hause als auch in der Schule.

Ich wurde unglaublich unglücklich, weinte und schrie den ganzen Abend.

Mein lieber Vater, der höchstens an Radiowellen glaubt, konnte die bittere Erkenntnis nicht mit dem Versprechen eines Jenseits versüßen.

„Es wird wahrscheinlich erst in 60-70 Jahren passieren“, sagte er. Aber das machte es nur noch schlimmer. Stell dir vor, du musst so lange auf etwas warten, das so schrecklich sein muss.

Irgendwann bin ich eingeschlafen. Am nächsten Morgen wachte ich auf und hatte in der Nacht alle Todesgedanken blockiert und an ein sehr abgelegenes internes Lager in meinem Inneren geschickt.

Es war eine Zeit großer Einsamkeit. Ich war einfach anders. Ich habe erst angefangen, Freunde zu finden, als ich in die Oberschule kam. Daraus sind wiederum lebenslange schöne Freundschaften geworden, über die ich mich sehr freue.

1983 absolvierte ich das Abitur. Ich habe das Singen schon immer geliebt, und ich stellte fest, dass meine Singstimme so viel Potenzial hatte, dass sie wahrscheinlich professionell funktionieren könnte.

Während des Karnevals in Kopenhagen 1984 hatte ich zum ersten Mal Sex mit einem Mann und beschloss, in die schöne Stadt zu ziehen, um meine verschiedenen Organe zu erkunden.

1989. Privatfoto

Die AIDS Ära

Ich sang und sang und hatte Sex und Sex. Es war toll! Im folgenden Jahr bekam ich Tripper und musste zur Kontrolle.

„Wir machen auch gleich einen AIDS-Test“, sagte Die Ärztin.

Meine Todesangst strömte aus ihrer blockierten Tiefe hervor und ich erstarrte. Es dauerte 14 bange Tage, bis ich ein negatives Test-Ergebnis bekam.

Ich schaffte es, die Todesangst wieder ins „Archiv“ zu schicken und machte ansonsten munter weiter mit meinen Lieblingsbeschäftigungen.

Vielleicht ein Jahr später las ein chilenischer Liebhaber in meiner Hand und sagte mir, ich würde als 32-Jähriger sterben!

Wieder wurde ich unkontrollierbar hysterisch, rannte durch Kopenhagen und schrie, rief meinen Vater an, der immer noch keine Lösung für dieses Problem hatte.

Es ist seltsam, daran zurückzudenken. Aber mein Blockier-Mechanismus war so effektiv, dass ich am nächsten Tag alle Gedanken an den Tod und alle Gefühle in mir geschlossen hatte und ruhig und fröhlich weiterging.

Fast immer hatte ich Safer Sex und habe absolut nie wieder einen HIV-Test gemacht.

Mit Singen habe ich weitergemacht und wurde in die königliche dänische Musikhochschule aufgenommen. Eine wunderbare Zeit.

Als ich Mitte 20 war, traf ich in einer Bar einen guten alten Liebhaber. Er erzählte mir, dass er an AIDS sterben würde und wollte es nur sagen, weil wir ungefähr 1985-86 ungeschützten Sex hatten. Ich sagte etwas Freundliches und eilte davon.

Zum Glück war ich körperlich stark und in Topform, ich habe gesungen und ich habe gut gesungen, also konnte es nichts mit mir zu tun haben.

Ein anderes Mal traf ich einen netten Kerl in der Sauna in Kopenhagen. Wir sprachen darüber, uns wiederzusehen. Als er aber nachher am Telefon sagte, dass er HIV-positiv sei, habe ich leise aufgelegt.

1996 entstand nach vielen Jahren der Forschung die Drei-Kombinations-Therapie. Sie verwandelte das HIV- und AIDS-Problem von einem sicheren Todesurteil in eine chronische Krankheit, mit der man wahrscheinlich relativ lange leben könnte. Wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze wäre, würde man auch andere nicht anstecken können.

Seitdem hat sich die Therapie so stark entwickelt, dass sie im Allgemeinen nur wenige oder keine Nebenwirkungen hat, und die Lebenserwartung wie bei jedem anderen Menschen ist.

Ich hatte mich daran gewöhnt, HIV / AIDS-Themen nicht weiterzuverfolgen, also habe ich das alles nicht ernsthaft registriert.

Im Laufe des Jahres 1997 bekam ich Pickel im Gesicht, Schuppen in den Haaren und Ende des Jahres bekam ich eine Darmerkrankung, die mein Immunsystem 6 Wochen und 12 Kilo kostete, um sie loszuwerden.

Das Ignorieren der Symptome wurde zu einer zunehmenden Herausforderung. Aber frühes Verdrängungstraining war noch voll aktiv.

1998 begann gut, bevor ich in einer Randbemerkung meine Hautärztin bat, einen HIV-Test zu machen.

Bei einem Gesangskurs hatte ich vorher eine sehr gute Figur gemacht hatte. Nun wurde mir beim Vorsingen gesagt, dass ich nicht aktiv am Kurs teilnehmen könne.

Übrigens hatte ich vergessen, die Ärztin anzurufen, um mich über den Test zu informieren.

Sie rief dann selbst eine Weile später an und bat mich, am nächsten Tag vorbeizukommen.

Während der Radtour zu ihrer Praxis habe ich es geschafft, dem Herrgott einiges zu versprechen, wenn der Test negativ war. Aber für Verhandlungen war keine Zeit.

Der Test war positiv.

Die Ärztin überwies mich an die Uniklinik und fragte mitfühlend, wofür ich die verbleibende Zeit nutzen möchte. Anscheinend war sie auch nicht ganz auf dem Laufenden.

Es war eine sehr schockierende Situation. In der nächsten Woche tat ich alles was ich immer tat. Ging zu den Proben im Rundfunkchor, ging nach Hause. Habe niemandem etwas gesagt.

Dann rief ich meinen lieben Ex-Freund an. Er hatte einen Bruder, der ebenfalls HIV-positiv war. Die beiden waren in der folgenden Zeit Superfreunde.

Einen Termin in der Kopenhagener Uniklinik bekam ich.

Dann rief ich meinen Bruder an. Er war sehr bewegt und bot mir an, mich in die Klinik zu begleiten. Das war sehr nett.

Als ich in die Klinik kam, nahmen sie viele Proben, die zeigten, dass meine Helferzellen, die das Immunsystem des Körpers anzeigt und die normalerweise um die 2000 liegen, auf 13 gesunken waren, und dass vielen Viren im Blut waren.

Aber, wie die Ärztin sagte, es waren neue Zeiten.

Die Drei-Kombinations-Therapie bekam ich, und die funktionierte wie beabsichtigt.

Im Vergleich zu heute, wo ich täglich eine Tablette nehme und normal fit bin, waren das andere Zeiten, morgens 8 Pillen und 8 abends und mein Magen bekam ziemlich viele Nebenwirkungen.

Ich hatte – und habe – viele gute Freunde und eine nette Familie. Natürlich müssten sie wissen, wie es war. Dazu fühlte ich mich irgendwie verpflichtet. Mein Bruder half beim Schwierigsten, indem er mit meiner Mutter sprach.

Es gab viele, die sehr traurig wurden. Ich dachte, ich müsste trösten, damit es ihnen nicht zu schwer werde.

Übrigens war Ich 32 Jahre alt.

Vielleicht hatte der Chilene nicht in meiner Hand gesehen, dass es eine Therapie geben würde?

Die ersten Monate habe ich mich etwas isoliert, aber ich bin ein kontaktfreudiger Mensch und kenne viele Leute, daher war es schwer.

Den Eindruck, dass jeder in der kleinen singenden Welt in Kopenhagen einfach alles darüber wusste, wie es mir ging, wurde ich nicht los.

Ein einfaches „Wie geht es dir?“ wurde interpretiert als „Sie wissen es!“

Etwas überraschend gab mir zur gleichen Zeit der Staatliche Kunstfond ein Stipendium für Studien in Paris, und ich konnte für fünf Monate wegziehen.

Meine Oma hatte von meiner Mutter von der HIV-Infektion gehört. Ich hätte sie sonst dafür ersparen wollen, aber sie nahm sofort einen Bus nach Paris, um zu sehen, wie es mir ginge.

Wir hatten eine schöne Woche, in der wir uns die Stadt angesehen und über alles andere als „es“ gesprochen haben. Sie konnte sehen, dass ich ok war und fuhr wieder nach Hause.

Mit einem französischen Liebhaber, der auch HIV hatte, begann mein Sexleben wieder.

So fing ich an französische Musik zu studieren und habe auch ein langes tschechisches Stück auswendig gelernt. Eine meiner lieben Gesangskollegen kam herunter und sang es mit mir.

Mit der Oma 1990. Privatfoto

Internet und Kabarett

Nach Kopenhagen zurückgekehrt, fand ich heraus, dass das Internet erfunden war.

Ein Freund sagte mir, pass nun auf diese bösen Chatrooms auf!

Es stellte sich heraus, dass es tolle Internetseiten gab, auf denen man andere treffen und Sex-Dates verabreden konnte.

Meine Telefonrechnung ist im Quartal von 900 auf 3000 dänische Kronen gestiegen.

Ansonsten war beruflich nicht viel los. Das Telefon, das zuvor mit guten Gesangs-Angeboten geklingelt hatte, war offenbar kaputt gegangen.

Meine Stimme war auch viel leiser geworden und der zuvor klare Klang war viel verschwommener. Das war viel schlimmer zu akzeptieren als die HIV-Situation.

Meine liebe alte Lehrerin von der Musikhochschule hat mir lange eine Stunde pro Woche geschenkt. Aber es hatte nicht die große Wirkung.

Ich habe in einer Oper gesungen, wo ein Rezensent schrieb, ich klinge wie ein Staubsauger, der die Luft nach außen bläst.

Dann habe ich mit dem Singen aufgehört.

Ich bekam einen Job als Informationsarbeiter im Verkehrsinformationszentrum der dänischen Autobahndirektion, wo die 6-7 Sprachen, die ich spreche, so zur Anwendung kamen, um über Baustellen auf europäischen Autobahnen zu berichten.

Es war massiv langweilig.

Aber irgendwann riefen sie wieder vom Rundfunkchor an, ich bekam auch einige Solo-Jobs.

Ich hatte auch einen netten Mann kennengelernt, den ich dann geheiratet hatte.

Ich verließ die europäischen Autobahn-Baustellen (sie sind immer noch da) ohne Tränen und leitete einen jahrelangen Tanz mit dem dänischen Jobcenter ein.

Ich wurde ehrenamtlicher Vorsitzender des dänischen Tonkünstlerverbandes und organisierte eine Reihe von Musikdiskussions-Treffen. So war ich noch Teil des Musiklebens, und es waren gute Abende.

Obwohl das Klang-Reichtum meiner Stimme begrenzt war, reichte es noch aus, um professionell halbwegs gut singen zu können, aber ich konnte es nur schwer ertragen, dass ich nicht mehr und nicht besser sang.

Es musste der Sinn meines Lebens sein, zu singen.

Mir wurde ein Gesangslehrer in Berlin empfohlen, ich nahm bei ihm Unterricht.

Während einer der Fahrten sah ich in einem Berliner Musikgeschäft Noten mit sechs Herren in Frack auf der Vorderseite. Sie hießen Comedian Harmonists und sie waren in den späten 20er und frühen 30er Jahren mit elegantem, virtuosem und verführerischem Ensemblegesang weltberühmt.

Dieser Moment wurde zum Auslöser für ein neues Sängerleben.

Mit einigen Herren vom Rundfunkchor habe ich während einer sehr langen Tournee nach Bochum einige Lieder einstudiert und sie vor begeisterten Kollegen aufgeführt.

Als wir nach Hause kamen, probten wie ein Programm, nannten uns „Kopenhagen Kabarett“ und hatten ein schönes Konzert im alten Rundfunkhaus.

Meine liebe Freundin von früher kam als schöne singende erotische Frontfrau dazu. Ich sammelte Repertoire für ein abendfüllendes Programm und brauchte dann einige verbindende Texte, um ein echtes Kabarett zu machen.

Es stellte sich heraus, dass ich selbst ganz gut schreiben konnte. Ich hatte immer einen Sinn für Humor, aber aus meinen vergangenen harten Zeiten war ein sehr gutes Gespür für die unmögliche Situationen des Lebens hervorgegangen. Das ergab die begleitenden Texte für unseren Auftritt.

Ich war mir sehr sicher, dass es ein Erfolg werden würde. Ich habe das neu eröffnete LiteraturHaus in Kopenhagen für vier Abende gemietet. Alles war ausverkauft, wir haben gesungen und getanzt, das Publikum war begeistert.

Das war sehr erfüllend.

1999. Foto: Marianne Grøndahl

Sexualität und Trauer

Spaß und etwas Erfolg zu haben waren eine großartige Heilung für meine Stimme, die langsam begann, sich zu lockern.

Ich bekam einige Opernjobs in Deutschland und fing wieder an, richtig Gesangs-Blut zu riechen.

All diese Lebensfreude gab mir auch eine sehr hohe Libido und ich verspürte ein starkes Bedürfnis, mein freies Sexualleben wieder aufzunehmen.

Ich vereinbarte mit meinem Mann, dass wir unsere Beziehung öffnen würden.

Ich war begeistert, er nicht so sehr.

Mein Gesangsunterricht in Berlin war mit wunderbaren wilden Abenteuern verbunden, und ich kehrte mit einigen exotischen Geschlechtskrankheiten nach Hause zurück, die unsere Beziehung zusätzlich belasteten.

In Berlin gab es, so stellte ich fest, eine Menge Leute, die das sexuelle Erlebnis mit Gras, Haschisch und Chemie verstärkten.

Das musste auch versuchen. Ich war wie ein Fisch im Wasser.

In Kopenhagen fing es an, schwierig zu werden. Ich hatte eine neue Vorstellung für das Kopenhagen Kabarett geschrieben. sie funktionierte sehr gut. Aber jetzt, wo meine Stimme sich auf einer anderen Ebene befand, wollte ich auch mehr Solist sein.

Die anderen bevorzugten die bekannte Richtung. Ich ließ es so sein, aber unsere gemeinsame Zeit ging ihrem Ende entgegen.

2009 fing ich an zu weinen.

Jeden Morgen habe ich eine Stunde geweint, da war viel Traurigkeit, die nicht länger in mir bleiben konnte.

Eine gute Freundin wohnte einen Monat bei uns, während sie für die EU-Parlament kandidierte. Am Morgen hörte sie zuerst mich weinen, dann hörte ich mir ihre Wahlkampfstrategie an. Danach gingen wir beide raus und taten, was wir tun sollten.

Was meine Ehe anbelangt: Die Gräben wurden tiefer, und wir konnten keine Brücken mehr bauen.

2008. Foto Sara Roland

Hepatitis C und Berlin

Ein routinemäßiger Bluttest in der Uniklinik ergab, dass ich mir nach einem „Studienaufenthalt“ in Berlin, eine sexuell ansteckende Hepatitis C zugezogen hatte.

Was eine Hepatitis war, wusste ich nicht genau, aber sie stellte sich als ziemlich ernst heraus.

Zu dieser Zeit gab es nur eine Therapie, Interferon, ein immunsuppressives Chemotherapie-ähnliches Medikament, das mindestens 6 Monate lang eingenommen werden musste.

Man gab mir eine „Menükarte“ mit einer Liste sehr unappetitlicher möglicher Nebenwirkungen.

Meine Beziehung ging endgültig in die Brüche.

Zunächst zog ich zu einer Freundin, die auf Tournee war und dann von Sofa zu Sofa.

Die Behandlung schien zu wirken, die Virenzahl war sofort unermesslich, ich habe die Kur gut vertragen und hatte immer noch Sex. Bei einem Sommer-Sex-Camp in Jütland fühlte ich mich sehr befreit.

Später im Sommer sagte ein sehr süßer Liebhaber zu mir: „Es tut dir wirklich leid, kannst du nicht einfach traurig sein?“

Er hatte recht, ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, dass so viel Trauer da war. Danach beschränkte ich meine sexuellen Aktivitäten auf zwei gute Freunde.

In jenem Sommer sang ich in einer Oper in Aarhus, und als ich wieder nach Hause kam, fand ich eine möblierte Wohnung in Kopenhagen.

Eine eigene Wohnung in Kopenhagen musste ich wohl finden, ich suchte, aber ohne großen Eifer. Einige meiner Freunde haben auch versucht, Orte vorzuschlagen, aber ich wollte keinen von ihnen sehen.

Also, was willst du, kleiner Mads?

Ich wollte mehr aus meiner Stimme herausholen.

25 Jahre in Kopenhagen hatte ich gelebt. Meine Stimme war wieder frisch, Viel unerforschtes stimmliches Potenzial steckte wohl in mir.

Es schien nicht wahrscheinlich, dass ich es in Kopenhagen entwickeln könnte, wo mich alle kannten und mir höchstens mehr von dem Repertoire anbieten würden, das ich bereits gesungen hatte. Wenn überhaupt.

Und dann war da noch das Sexualleben.

Der Pfeil zeigte nach Berlin.

Ich war noch nie ein Mensch, der oft den Wohnort wechselte, im Gegenteil. Wenn ich jemals umziehen musste, dann jetzt.

Mein damaliger Gesangslehrer in Berlin sagte: „Komm einfach“. 14 Tage später hatte ich eine möblierte Wohnung in der Motzstraße gemietet, mitten im schwulen Viertel.

Die Verpflichtungen in Kopenhagen habe ich beendet, und nachdem ich für den zweiten Weihnachtstags-Gottesdienst gesungen hatte, nahm ich ein paar Koffer und zog weg.

Mit einer Opernagentur wurde ein Vorsingen vereinbart und ein Programm einstudiert.

Als ich kam und sang, begann mein rechter Arm unkontrolliert zu zittern, und die freundlichen Leute sagte, es klinge eigentlich sehr gut, aber so könne man nicht beim Singen aussehen.

Das war wohl klar.

Was tun? Ich war bei einem Astrologen.

Mit 20 Jahren hatte ich schon eine sehr gute astrologische Beratung, die überraschend genau und sehr hilfreich war. Es war wohl wieder Zeit.

Es hat seine Herausforderungen, sowohl hochspezialisiert begabt als auch ziemlich naiv und leichtgläubig zu sein. Aber zumindest war mir die Situation bewusst.

Also suchte ich einen Astrologen, der auch ausgebildeter Psychologe war. Den fand ich.

Er erklärte mir, dass all die Tränen, die ich geweint hatte, nicht nur über meine Scheidung, sondern dreißig Jahre angesammelte Trauer waren, die endlich herausgeweint werden mussten.

Dann sagte er unter anderem, dass die kommenden Jahre umwälzend für mich sein würde. Früher hätte man mich in ein Kloster gesteckt und mich erst nach Abschluss des Prozesses freigelassen.

Diese Umwälzungen würden mich so verändern, dass ich mich selbst fast nicht mehr wiedererkennen würde. Auch sagte er, dass ich, wenn alle dachten, dass ich erledigt sei, wieder aufstehen und damit nie wieder aufhören würde.

Es war ermutigend. Aber diese Transformation war eine echte Mission Impossible, so stellte es sich heraus.

2012. Privatfoto

Sex mit Spritzen

Ein Typ machte mich mit Sex bekannt, indem ich Kokain in eine Vene spritzte. Das war Liebe auf den ersten Stich. Alle meine Vorsicht wurde entfernt und ich träumte nur davon, diesen schönen Mann zu heiraten.

Im Laufe eines halben Jahres hatte ich einen großen Teil meines dänischen Geldes in Wunder-Sessions mit ihm investiert.

Es war himmlisch und sehr frustrierend.

Denn heiraten wollte er nicht (oder einfach nur im Wald spazieren gehen), aber sehr gerne sich in angeregter Gesellschaft amüsieren.

Das musste reichen.

Die Hepatitis-Therapie hatte ich abgebrochen. Sie hatte gut funktioniert, ich hatte ja längst keine Viren mehr und ich konnte nicht einsehen sie fortzusetzen.

Es stellte sich heraus, dass meine Selbstdiagnose falsch war.

Meine Melderegisteradresse war noch Kopenhagen. Ein Bluttest in der Uniklinik zeigte Mai 2010, dass das Virus wieder zurückgekehrt war.

Der Rat war, zu lernen, damit zu leben. Sie wussten nicht, ich hatte es verschwiegen, dass ich die Interferon-Therapie selbst beendet hatte.

Einer meiner Freunde in Berlin arrangierte eine Beratung bei einem der führenden Berlin Spezialisten für sexuell übertragbare Krankheiten.

Ihm habe ich die ganze Geschichte erzählt.

Er glaubte, dass, angesichts dessen, dass die vorherige Therapie so gut funktioniert hatte, es wahrscheinlich wäre, dass eine 12-monatige Interferon-Behandlung das Virus effektiv niederschlagen würde.

Vorausgesetzt die Therapie würde diesmal ganz zu Ende gebracht werden. Natürlich.

Nachdem ich so lange mit HIV gelebt hatte, war der Gedanke, einen weiteren aktiven Virus in mir zu haben, sehr unangenehm.

Ich erwähnte den Rat meines deutschen Arztes gegenüber der Uniklinik in Kopenhagen, die widerstrebend zustimmte.

Im Sommer würde ich in Bayern eine Oper singen und konnte dann zu Hause in Berlin mit der Therapie anfangen.

Als ich zurückkam hatte mein Liebhaber gehört, dass Injektionen mit Crystal Meth noch wilder sein konnten als mit Kokain.

Da Ich ja irgendwie krank und emotional nicht ganz stabil war, hatte ich Angst, dass es unvorhergesehene Folgen haben würde.

Nach einigem Zögern habe ich dann trotzdem mitgemacht. Er wurde richtig high und wollte die ganze Welt nach Hause in meine Wohnung einladen. Viele Leute kamen vorbei. Ich wäre lieber nur mit ihm gewesen, aber was konnte man machen?

Als die Session vorbei war, ging er nach Hause, und ich war sehr unglücklich.

Um meine Liebhaber und Freunde habe ich mich immer und gerne gekümmert, wenn sie in meiner Gesellschaft waren. Jetzt brauchte ich selbst etwas Unterstützung. Ich schrieb ihm eine Nachricht und er antwortete, dass, leider, ich müsse die Verantwortung für mich selbst übernehmen.

Ich sah ihn wieder, wachte eines Tages auf und erkannte, dass es nicht gehen konnte, folgte seinem Rat, übernahm Verantwortung und fand dann die Kraft, diese Verbindung zu lösen.

2014. Privatfoto

Poetische Heilung

Die lange Interferon-Therapie begann und auch eine Reihe von Beratungen bei einem anderen Astrologen / Psychologen.

Praktisch veranlagt (ich bin Jungfrau), konnte ich so eine Therapie machen und gleichzeitig alles über Astrologie lernen.

Lernen war toll, auf der persönlichen Ebene war ich am meisten überrascht, wieviel Wut in mir steckte, der ich ja so süß bin…

Im Großen und Ganzen ließ ich den Sex und die Stimulanzen. So war ich ein Jahr krankgeschrieben.

Anders als zur Zeit der HIV-Diagnose, wo ich mich verpflichtet fühlte, der ganzen Welt Orientierung zu geben, versuchte ich nüchtern zu analysieren, was ich wirklich brauchte, um ein ganzes Jahr der Interferon-Therapie zu überstehen.

Es passte mir gut, einfach allein zu sein und in mich selbst zu gehen.

Kontakt bestand mit einigen Freunden, damit es jemanden gab, der Alarm schlagen konnte, wenn die Therapie nicht ertragbar sei. Dann redete ich nach und nach mit Familie und engsten Freunden, als ich spürte, dass es gut lief.

Ansonsten ließ ich die Zeit für mich arbeiten. Ich fand ein sehr schwieriges modernes Stück, das ich lernen wollte. Es stellte sich als große therapeutische Hilfe heraus.

Während des Stücks begibt man sich auf eine poetische Reise durch die Schrecken von Hiroshima und Auschwitz, taucht schließlich aus der tiefen Dunkelheit auf und sieht, dass es immer noch Tempel, Lichter und Gesang gibt.

Vielleicht bin ich nicht immer empfänglich für Vernunft. Aber ich bin sehr empfänglich für Poesie und Musik.

Der wiederholte singende Gang durch die Dunkelheit ins Licht gab mir sowohl Glauben als auch Hoffnung, dass es mir wahrscheinlich gelingen würde, einen guten Weg zu finden.

Gesang und Trauer zu analysieren, wurde mir wichtig.

Das Singen hatte immer eine so schöne Wirkung auf meine eigene Trauer. Ich hatte in Dänemark gerne auf Beerdigungen gesungen und sah einen tiefen Sinn darin, meine Stimme in sehr sensiblen Lebens-Situationen einzusetzen. Diese Potential wollte ich noch erforschen.

Ich hörte Sängern aus der Gegenwart und vor allem aus der Vergangenheit zu und versuchte zu spüren, wie und warum ihr Lied auf mich wirkte.

Mich konnte sowohl einfacher Gesang mit schönem Timbre als auch ein ausdrucksstarker grenzüberschreitender Ausdruck berühren.

Ich achtete auf emotionale Konzentration.

Dann wurde ich gefragt, ob ich in Kopenhagen ein Solokabarett machen würde.

Es sollte mit dem schönen lockeren Berliner Repertoire aus der Zeit der Weimarer Republik in den 20er und 30er Jahren sein.

Ich lachte jeden Tag, wenn ich zum Üben zu meinem Flügel ging.

Während der Interferon-Therapie wurde ich körperlich viel schwächer. Aber moralisch war ich sehr gestärkt.

Ein paar Konzerte mit dem großen modernen Werk wurden organisiert. Der Komponist kam, war sehr gerührt und schrieb einen sehr positiven Brief, der mir Hoffnung für die Zukunft machte.

Auch das Solo-Kabarett lief fantastisch. Ich liebte es, all die frechen Lieder zu singen.

Den Leiter des katholischen Militärseelensorge in Köln hatte ich kennengelernt. Er lud mich ein, als Solist bei der jährlichen Weltfriedenstags-Messe im Kölner Dom zu singen. Gemeinsam haben wir anschließend ein Gesangsprogramm zum Trost in Trauer entwickelnd, das sehr schön und erfolgsversprechend war.

Es war eine dieser vielen seltsamen Zeiten in meinem Leben, in der ich in einem Moment nichts zu tun hatte und ziemlich weit unten war und im nächsten in schönen Konzertsälen singen konnte. Und dann wieder nichts.

Mein Interesse an Astrologie hatte mich mit einer Reihe sehr guter Astrologen und Therapeuten in Kontakt gebracht. Ich wurde gefragt, ob ich einen astrobiografischen Artikel für einen amerikanischen astrologischen Blog schreiben würde. Hier habe ich viel von dem beschrieben, worüber ich in diesem Artikel hier schreibe.

Allerdings ließ ich alles weg, was mit Drogen zu tun hatte.

Es schien mir so überwältigend peinlich, dass ich mit diesen Fällen in der Öffentlichkeit nichts zu tun haben wollte. Und übrigens hatte ich ja auch aufgehört.

Es war sehr befreiend, meine Herausforderungen mit den sexuell übertragbaren Krankheiten zu schildern.

Zu versuchen, Schuld und Scham aus den Geschichten herauszunehmen und eine Art nüchterne, sachlich-emotionale Herangehensweise an das Geschehene zu haben.

Als mögliche Nebenwirkung davon habe ich seitdem keine der Geschlechtskrankheiten mehr, die ich sonst magnetisch angezogen habe.

Die Hepatitis war weg. Einmal, im Jahr danach, zeigte ein Bluttest eine kleine Menge Virus, und Kopenhagen bat Berlin um weitere Tests.

Ich machte eine neue Verhandlung mit Gott. Diesmal sagte ich ihm, wenn ich wieder krank werden sollte, dann würde ich das natürlich akzeptieren. Aber wenn ich selbst entscheiden könnte, wäre ich lieber gesund und würde mit dem weitermachen, was ich so gerne tue.

14 Tage später zeigten die Blutproben aus Berlin keine Virenlast mehr.

Ich habe es nicht vermisst.

2016 Privatfoto

Crystal Meth

Dann bin ich gut und gründlich in ein neues Loch gefallen.

Eines Nachts kam ein Mann mit viel Crystal Meth vorbei. Wir haben es zusammen genommen. Als er weg war, konnte ich fühlen, dass ich richtig süchtig war.

„Das wird das Schwierigste, was du in deinem Leben bewältigen wirst“, sagte ich leise zu mir selbst.

Dann folgten vier sehr herausfordernde Jahre.

Nach jeder Crystal-Meth-Runde war ich körperlich und emotional fertig, ich musste meine Stimme durch sehr langsame Übungen wiederfinden. Als sie zurückkam, begann ich wieder zu singen und arbeitete weiter an meinen Programmen.

Besonders schwierig war es nach einem richtig großen Kabarettabend.

Sobald das Publikum aufgestanden war und geklatscht hatte, hatte ich einen unwiderstehlichen Drang mich wieder zu zerstören. Als ob es alles nicht gut gehen dürfte.

Um herauszufinden, wie ich durch die starken Auswirkungen auf das Gehirn mental so unversehrt wie möglich blieb, bemühte ich mich, mich selbst und meine Partner zu beobachten.

Viele der Partner gingen von starker Begeisterung und kaninchenartigem sexuellem Verlangen zu Wut und schnellem Misstrauen gegenüber dem Partner.

Selbst war ich öfters sehr darauf eingestellt, meinen Partner zu befriedigen, gefolgt von Ärger darüber, dass der Partner vergas auch mir was Gutes zu tun.

Es gelang mir einen Großteil der Wut durch eine humorvolle Haltung abzuwenden. Ich amüsierte mich über alles was nicht wie geplant gelang, anstatt hysterisch zu werden. Es war auch recht lustig, wenn die angestrebten akrobatischen Stellungen nicht so ganz klappten.

Als alles vorbei war, spürte ich Auswirkungen. Wo andere nicht aufhören konnten zu reden, konnte ich mehrere Tage lang nicht aufhören zu singen.

Was ich sang, konnte ohne besondere Melodie sein, manchmal kam einfach das Wort Honolulu immer wieder singend aus mir heraus. Ich hatte diese Insel sehr satt. Aber es hörte immer nach ein paar Tagen auf.

Das Seltsame war, dass der Ekel, den ich nach einer Runde empfand, nach einiger Zeit plötzlich wie vergessen war.

Immer war ich ziemlich sicher, dass ich jetzt aufhören würde. Und dann habe ich es trotzdem nicht getan.

Meine finanzielle Situation war sehr kritisch.

Es gab nicht genug Jobs, um durchzukommen oder manchmal nur meine Miete zu bezahlen, und eine ganze Menge Geld wurde auch spontan in meinen Drogenkonsum investiert.

Manchmal hatte ich nicht das Geld, um die Fahrkarte zu den Städten zu bezahlen, in denen ich singen und mein Geld verdienen musste.

Gute Freunde trugen mich durch, ohne zu viele Fragen zu stellen, damit ich nicht auf der Straße landete.

Ich versuchte herauszufinden, was mich daran hinderte, aufzuhören.

Gleichzeitig zog ich mich immer mehr zurück und wollte auf keinen Fall mit jemandem über das Problem sprechen.

Ich hatte gehofft, dass mich jemand fragen würde, was los sei, aber ich funktionierte äußerlich gut und wirkte wahrscheinlich abweisend gegenüber denen, die sehr wohl sehen konnten, dass nicht alles so gut lief.

Irgendwann wurde es so offensichtlich, dass die Tatsache, dass ich nicht über das Problem sprechen konnte, wahrscheinlich das größte Problem war. Vor allem mit der Familie. Da musste ich also einsteigen.

Es war unbeschreiblich schwierig.

Ich begann mit einer lieben Cousine und arbeitete mich über eine freundliche Tante langsam zum Kern vor, Vater und Mutter. Ich erhielt nur freundliche und liebevolle Antworten. Die meisten Monstervorstellungen von Ablehnung schwirrten in meinem eigenen Kopf.

2017. Privatfoto

Auflösung und Wiederaufbau

Trotzdem dauerte es noch ein Jahr, bis ich die innere Kraft fand, ganz damit aufzuhören.

Es war klar, dass ich Hilfe brauchte. Ich habe methodisch angefangen. Ging zur Berliner AIDS-Hilfe, wo ich einen guten Sozialarbeiter bekam.

Er half mir durch die bürokratischen Herausforderungen, mich bei Jobcenter und Krankenkasse anzumelden und mit Ratenzahlungsplänen für den immer größer werdenden Haufen von unbezahlten Rechnungen.

Nach 6 Jahren ich Berlin habe ich mich schließlich aus dem dänischen Bevölkerungsregister abgemeldet und wurde vollständig in Deutschland registriert.

Mein Hausarzt hat mich fein unterstützt und ich habe mich auch von der Schwulenberatung in Berlin beraten lassen.

Am Grenzüberschreitendsten war über die Türschwelle eines Gruppentreffens für Männer zu gehen, die Sex mit Männern haben und dabei Drogen nehmen.

Damals hatte ich schon lange Perioden, in denen ich völlig abstinent war. Ich hatte auch guten Sex ohne Drogen gehabt.

Aber in wirklich herausfordernden Momenten gab es kein Halten mehr.

Ein Gespräch mit einem Suchtpsychologen ergab, dass er mich bat, drei Wochen abstinent zu bleiben, bis wir uns wiedersähen.

Genau in der gleichen Nacht hatte ich einen großen Rückfall mit einem Mann, der während des Konsums immer wieder provozierte.

Am Ende wurde meine sonst sehr kontrollierte Wut so herausgefordert, dass ich ihn mit meiner kraftvollen Stimme so sehr angeschrien habe, dass er schließlich verschwand.

Das war der Schluss.

Es war der 15. Juni 2016.

Ein paar Tage später sollte ich für eine private Silberhochzeit singen. Ich hatte nicht viel Stimme, aber was ich hatte, habe ich lustig und elegant verwenden können, und es schien, wie eine Bestätigung, dass etwas noch funktionierte.

Der Suchttherapeut meinte, ich sollte jetzt besser in eine Reha-Einrichtung gehen, da ich seine Absprache nicht eingehalten hatte.

Das hat mich dann so genervt, dass ich mich immer wieder enthalten habe. Auch Stolz und Eitelkeit können gute Waffen sein.

Einmal in der Woche ging ich zu Meetings und versorgte mich ansonsten selbst.

Ich habe meinen Nächsten gesagt, dass ich jetzt dachte, es sei vorbei mit den Drogen. Es war jedes Mal sehr unangenehm, darüber reden zu müssen.

Die Einzige, die ich in diesem Sommer sehen wollte, war meine Mutter. Sie kam aus Randers nach Berlin und wir hatten eine schöne, gesellige Woche zusammen.

Es gab eine Kabarettaufführung, obwohl ich dachte, ich sei müde und steif in Körper und Stimme, konnte ich zwei Stunden lang singen. Das Publikum war gut zufrieden.

Ich hatte nach einem Psychologen gesucht, mit dem ich das alles klären konnte.

Die Krankenkasse hat mir eine Liste verfügbarer Therapeuten gegeben, ich habe einige verschiedene kennengelernt.

Da war eine Dame, die mich gefragt hat, ob ich derzeit Alkohol getrunken oder Zigaretten geraucht habe. „Weder noch“, habe ich gesagt. „Nun, man sollte wohl ab und zu ein bisschen Spaß haben“, hat sie gesagt.

„Ich probier’s mal“, dachte ich, und dann fing ich an zu rauchen und zu trinken.

Als ich zurückkam und von meinen „Fortschritten“ erzählte, starrte sie mich entsetzt an und sagte: „Das ist ja Suchtverlagerung!“ ein so schönes deutsches Wort.

Dann habe ich sie gefeuert.

Bei den Meetings sagte der leitende Therapeut, „Wenn man in das Therapie-Programm der Schwulenberatung gehe, sei achtzehn Monate absolute Abstinenz, auch mit Alkohol, erforderlich.“

Ich sah / hörte mich mit verschränkten Armen dasitzen und verächtlich sagen, dass Alkoholismus nie ein Problem für mich gewesen sei. Die wütende Reaktion machte mir klar, dass es da vielleicht etwas dran wäre.

Alle Dating-Apps wurden geschlossen. Ich habe mir eine neue Handynummer zugelegt. Mich darauf eingerichtet, dass dies ein sehr langer Prozess sein würde. Mit vielen Schwierigkeiten auf dem Weg. Aber Schwierigkeiten waren mir nicht fremd, also könnte man wohl dieses Aushaltevermögen auch hier verwenden.

Auf einer Support-Seite habe ich gelesen, was andere getan hatten. Einige hatten Meetings, die sogenannte 12-Schritte-Methode oder Kliniken genutzt, einige hatten viel Unterstützung gebraucht, andere waren einfach gegangen.

Es passte wahrscheinlich am besten zu mir, jemand zu sein, der einfach gegangen war. Ich hatte viele Perioden allein erlebt und fühlte mich im Allgemeinen gut dabei.

Ich war sehr besorgt, ob ich trotz meiner Mühe einen weiteren Rückfall erleiden würde. Was konnte ich machen?

Ich habe mich an Gott gewandt, habe gesagt, wenn ich es mir selbst aussuchen könnte, würde ich es vorziehen, keine Rückfälle zu haben. Ich würde auch dafür arbeiten. Das dämpfte die Angst.

In den wöchentlichen Treffen konnte ich hören, womit die anderen Sucht-Kollegen zu kämpfen hatten. Obwohl es Unterschiede gab, gab es auch viele Parallelen.

Angst, Einsamkeit, Schmerz, Verletztheit, Wut und Langeweile tauchten auf vielfältige Weise wieder auf.

Gute Routinen und Rituale haben bei mir gut funktioniert.

Kochen, Aufräumen, ein Spaziergang, ein Sportprogramm, Musik hören, Filme schauen und über Astrologie zu lesen, das war alles sehr stabilisierend.

Meine eigene frühere Todesangst hatte sich durch die vielen kleinen und großen Katastrophen in eine Art Vertrautheit mit den Endlichkeiten des Lebens verwandelt.

Ich hörte wieder auf zu rauchen und zu trinken und traf schließlich einen Therapeuten, der ein sehr freundlicher Mensch war.

Drei Monate waren vergangen, und ich hatte keinen Drang verspürt, zu den Drogen zurückzukehren. „Sie haben es anscheinend selbst geschafft“, sagte er. Was wollen Sie mit mir?“

Auf der weiteren Reise könnte ich gut einen freundlichen Begleiter gebrauchen, meinte ich.

Er arrangierte es so, dass ich durch die Kasse zweiundvierzig Sitzungen bei ihm bekam. Das deutsche Gesundheitssystem ist sehr großzügig, wenn es einem gelingt bei den vielen Regeln herauszufinden, wie es funktioniert.

Jetzt, wo ich nicht mehr an meinem mentalen, emotionalen und physischen Überleben fokussieren musste, kamen viele unterdrückte Reaktionen.

Ich habe etwa eine Kabarettshow gesungen, wo es vom ersten Lied bis zur letzten Zugabe innere Stimmen gab, die mein Singen immer wieder herabwürdigten.

Es gäbe da es einen falschen Ausdruck, da einen schlechten Klang, im Allgemeinen ganz nutzlos, was ich täte, sagten sie jedes Mal, wenn ich den Mund aufmachte.

Ich sang aber weiter, ich kannte das Programm gut, das Publikum reagierte genau wie immer, sogar sehr positiv. Eine sehr merkwürdige Erfahrung.

Derzeit habe Ich eine Strategie eingeführt, bei der ich Gedanken und Gefühle durch mich hindurchgehen lasse. Ich beobachtete sie, handelte aber nicht danach. Es kamen auch so viele hervor, dass dies gar nicht möglich gewesen wäre.

Ich nahm zehn Kilo zu und eine alte Gelenkerkrankung tauchte wieder auf, so dass meine Knie und Knöchel sehr geschwollen waren. Es war schwierig zu gehen.

Eines Tages, als ich einen kleinen langsamen Spaziergang machte, traf ich einen Freund und setzte mich mit ihm auf ein paar Stühle draußen auf der Straße.

Ein alter Drogensexpartner kam vorbei und sagt: „Du bist ja fett geworden – früher war er viel schlanker!“ Nun. Was sollte ich sagen. Ich stand auf. „Schau mal. Er kann auch nicht laufen!“, schrie er mich an.

Dann bin ich nach Hause gegangen.

Selfie mit der Mutter 2018

Die lieben Lücken

Manchmal scheint man verzweifelt sein zu müssen, um das zu tun, von dem man weiß, dass es richtig ist.

Eine der hartnäckigen inneren Stimmen sagte mir, ich sei über fünfzig und womit habe ich mein Leben verbracht?

Sexuell übertragbare Krankheiten und Drogen.

Das stimmte teilweise, war aber nicht so konstruktiv.

Den Stimmen beschloss ich entgegenzuwirken und mir zu sagen, dass die besonderen Erlebnisse auch eine Vorbereitung auf mein weiteres Leben sein könnten.

Eine jede Wahrnehmung des Lebens konnte genauso gut sein wie die andere, und es war eine weitaus bessere Perspektive, mich selbst liebend positiv zu betrachten.

Was sollte ich sonst machen. Das Einzige, was ich wollte war singen.

Einerseits hatte ich gute Ideen, einige hatten sich auch schon bewährt. Meine Stimme war ok. Andererseits bestellt niemand automatisch einen klassischen Sänger über fünfzig für das normale Repertoire.

Ich war grottenschlecht beim Vorsingen. Ich bin immer vor Schreck über die Verkaufssituation zu Eis erstarrt und habe selten einen Eindruck davon geben können, was ich wirklich konnte.

Ohne Drama verließ ich die Welt der Oper und des Oratoriums.

Andererseits fragt niemand nach Alter und Lebenslauf, wenn man erst auf der Bühne steht, und die Musik spielt.

´Mein Therapeut sagte aufmunternd, dass es einen großen Unterschied gebe, ob man sich umschulen müsse oder in den eigenen Beruf zurückkehre.

„Ein Relaunch eines geliebten Produkts“, wie er es so schön nannte.

So machte ich einen Plan.

Ich musste meine eigene „nicht-normale“ Produktserie haben.

Wenn ich es schaffen könnte, all die Verlegenheit, Scham und Schuld, die für mich mit Sex und Drogen verbunden waren, zu überwinden, hätte ich ein riesiges Reservoir an aufregendem künstlerischem Material zur Verfügung.

In meiner erschöpften Situation gab es keine Möglichkeit, schnelle Erfolge zu erzielen, und es passte vielleicht auch nicht so zu meinem Alter.

Ich habe begonnen, mir die künstlerischen Bereiche angesehen, in denen ich am meisten zu Hause war, mit denen ich mich am tiefsten verbunden fühlte. Dort, wo vielleicht meine eigene Freude und Mitgefühl einige universelle Bedürfnisse befriedigen könnten. Alles andere habe ich gelassen.

Trauer, Sex, Kabarett, Poesie, Ensemblegesang. Der schöne Klang. Überschwängliche Lebensfreude ist auch mein Gebiet.

Ein Sängerleben ohne die Lieder von Schubert konnte ich mir nicht vorstellen, also musste alles, was ich tat, auf meiner klassischen Gesangstechnik basieren.

Die Idee aus den Gruppentreffen, eine Routine zu machen und einmal pro Woche sein Trauma an einem sicheren Ort hineinzutragen und hier sehen, wie es dem Trauma ging, inspirierte mich, eine Reihe von Trost-in-Trauer-Konzerten zu entwickeln.

Dort würde man seine Trauer immer an denselben Ort mitbringen können, ein gut ausgewähltes Programm in einer vertrauten Umgebung hören, seine Trauer so weit zulassen, wie man es vermag, sich die Seele von den Liedern liebevoll massieren lassen, sie wieder einwickeln mit dem Bewusstsein, dass man sie beim nächsten Konzert wieder auspacken konnte.

Ich schlug die Idee dem Leiter der Friedhofsverwaltung Berlin Stadtmitte vor, dem sie sehr gut gefiel. Er fand ein kleines Budget und eine schöne Kapelle auf einem Friedhof in Kreuzberg, wo ich seit 2017 eine Sommerreihe von 4-6 Konzerten organisiere.

Über meine Drogenproblematik zu sprechen, blieb indes weiterhin schwierig.

Jedes Mal, wenn ich mit Freunden und der Familie über Drogenprobleme über sie sprach, zeigte sich eine enorme Schwelle aus Unbehagen und Verlegenheit, die ich überwinden musste. Aber allmählich wurde es einfacher, diesen Weg zu gehen, und es wurde immer leichter, das Trauma zu verarbeiten.

Es gab keinen Tag, an dem ich nicht mindesten einmal gute Laune hatte.

Ich reagiere sehr gut auf Lob und Anerkennung, also trainierte ich langsam mein überkritisches Gehirn, um mein eigener ermutigender Coach zu werden.

Wenn ich den ganzen Morgen im Bett blieb, war es nur gut. Wenn ich aufstand und arbeitete auch super.

Arbeit-Erholung-Arbeit-Erholung erwies sich auch für mich als die fruchtbarste Art kreativ zu sein.

Wenn ich Albträume hatte, in denen ich wieder Drogen nahm, interpretierte ich das als nächtliche Verarbeitung der Herausforderung. Ich sagte mir, „Das war ein Traum, jetzt bist du wach.“

Wenn ich mir vorstellte, dass ich wahrscheinlich dabei war, an Krebs, Blutgerinnseln, Gehirntumoren oder Verkehrsunfällen zu sterben, stoppte ich es, indem ich sagte: „Aber ich glaube es in Wirklichkeit nicht.“ Ich hatte Recht.

Wenn ich Angst hatte, dass mich keiner unterstützt, sagte ich, „So war es vielleicht damals, jetzt ist jetzt. Einige unterstützen, andere nicht. So wie du selbst manchmal hilfst und manchmal nicht.“

Wenn ich etwas reichlich gepusht hatte, konnten mir kleine Panikattacken und Tourette-ähnliche Fluch-Sessions mitteilen, dass es jetzt an der Zeit war, sich wieder zu entspannen und die Dinge von selbst laufen zu lassen.

Irgendwann war ich so positiv selbstkontrolliert worden, dass es mir schwerfiel, meine mitfolgende Selbstgerechtigkeit in Schach zu halten.

Ich trank suchtvoll Kräutertee, hatte keinen Sex, ging spazieren, kochte, spülte, arbeitete konzentriert.

Ich fragte mich, ob es nicht Zeit war, ein wenig geschüttelt zu werden.

Mads Elung-Jensen

2019. Foto Luca Pravato

Medizin mit Herausforderungen

Meine geschwollenen Gelenke wurden als Psoriasis-Arthritis diagnostiziert, eine Autoimmun-Erkrankung, und ich begann eine medizinische Therapie mit Kortison und MTX, einem Immunsuppressivum.

Gleichzeitig hatte mein Hausarzt bei meinen Blutbildern – ironischerweise – einen sehr niedrigen Testosteronspiegel festgestellt, und ich bekam einen Depotimpfstoff mit einer sechsmonatigen Testosteronergänzung.

Das alles hat mich sehr krass durchgeschüttelt.

Das Kortison machte mich etwas pickelig und nervös. Während eines Konzerts verlor ich zuerst meine ganzen hohen Töne und danach all meine hohen Übergangstöne.

Glücklicherweise war es moderne Kompositionsmusik, also komponierte ich schnell einige drastische Überarbeitungen der Partitur an Ort und Stelle. Das Publikum fühlte anscheinend nichts, aber es war eine wirklich unangenehme Erfahrung.

Ich stoppte das Kortison, aber meine Stimme blieb wollig und dunkler als sonst.

Ansonsten wirkte das MTX gut für meine Gelenke.

Ich ging zu einem Endokrinologen, der das Testosteron absetzte.

Ich bekam auch ein Rezept für eine Reihe Stimmübungen bei einer Logopädin.

Die Stimme kam wieder, wenn auch mit begrenzter Höhe.

2019. Foto Luca Pravato

Sexy Kabaretts

Bereits 2014 hatte ich eine ziemlich wilde Synopsis für ein Bühnenstück über eine lesbische Proktologin und einen schwulen karmischen Astrologen geschrieben.

Das Stück war voll von sexuellem und emotionalem Missbrauch, medizinischen und esoterischen Forschungsexperimenten mit Drogen.

Alles in allem viele gute Sachen!

Wenn ich meine Sex-, Krankheits- und Drogenerfahrungen ernsthaft in die Öffentlichkeit tragen wollte, war es Zeit zu handeln.

Eine Seite von mir findet es etwas peinlich, einfach das Wort „schwul“ auszusprechen, in meinem generellen künstlerischen Schaffen hatte ich bis dahin nie die schwule Karte gespielt, also war es nicht einfach etwas, das ich tat.

Ich habe mit einem Freund gesprochen, der Suchttherapeut bei der AIDS-Stiftung in Kopenhagen ist. Durch ihn kam ich in Kontakt mit Bøssehuset, das schwule Haus, in der autonomen Freistadt Christiania in Kopenhagen.

Ich besuchte eines ihrer Montagstreffen und schlug ein Kabarett, „ButtStuff“, mit dieser Geschichte vor.

Ich entschied mich, sehr erotisch-pathosvolle französische Piaf- und Brel-Lieder zu verwenden und schrieb einige grotesk-satirische Lieder mit klinisch-rektalem Inhalt.

„Der Song der rektalen Untersuchung“, „Der Song der Geschlechtskrankheiten“, „Der Song des medizinischen Forschungsprojekts“. Ich fand es geil.

Ich habe auch ein Lied geschrieben, das hypersexuelle schwule Aktivitäten lobte. Daran ist nichts auszusetzen! Obwohl ich selbst anscheinend in die sexuelle Frührente gegangen war.

Zusammen mit meinem Freund aus der AIDS-Stiftung veranstalteten wir ein Open-Mic-Treffen für Männer, die Sex und Chems (wie wir Drogen heutzutage nennen) kombinieren, bei dem ich Auszüge aus meiner persönlichen Geschichte erzählte und einige der Lieder sang.

Es hat gut funktioniert, und die Songs haben wirklich allen Spaß gemacht.

Dann ging ich nach Hause, setzte mich hin und schrieb die Story und vierzehn weitere Songs. Ich machte Pressearbeit, lernte die Songs und die Texte, probte, bis ich blau im Kopf war, und arrangierte dann ein Hauskonzert für dänische Freunde in Berlin.

Kurz zuvor gab es einen furchtbaren Unfall in unserer Familie, der mich sehr erschüttert hat.

Während der Probevorstellung geriet meine Stimme wieder in Schwierigkeiten.

Die Höhe verschwand noch einmal und obwohl ich das Stück schnell in die Tiefe brachte, wie ich es ja früher auch gemacht hatte, musste ich die Uraufführung um drei Monate verschieben.

Dieses Erlebnis löste eine riesige Panikattacke aus, wo meine inneren Stimmen überzeugt waren, jetzt wäre ich als Sänger endlich fertig.

Gleichzeitig organisierte ich wie gewohnt weiter Konzerte und Kabarettaufführungen. Komisch, wenn man fertig ist. Also beschloss ich, auf das zu schauen, was ich eigentlich tat, nicht zu sehr auf die inneren hysterischen Stimmen zu hören.

Meine Songs transponierte ich etwas nach unten, da die Höhe immer noch schwer zu fassen war.

Vielleicht ein Alterszeichen?

Ich habe noch ein paar Stunden bei der Stimmtherapeutin verbracht und dann normal geübt und weiter gesungen.

ButtStuff 2018. Privatfoto

ButtStuff und das Interview

Velleicht wäre es jetzt eine gute Idee, etwas mehr von der Zwangsjacke der Selbst-Kontrolle abzugeben, dachte ich mir.

Wie wäre es, mit ein Interview über die bunten Hintergründe der Entstehung von ButtStuff anzubieten und natürlich auch etwas Werbung für die Show zu machen?

Ich kontaktierte einen Journalisten von Politiken, einer großen dänischen Zeitung, den ich kannte. Die Zeitung hatte Interesse.

Jetzt hatte ich viel Zeit. Ich habe in Ruhe geübt, brachte die vokalen Sachen besser in Position. Ein Freund in Kopenhagen organisierte eine neue private Aufführung.

Es war ein gutes volles Haus, die Leute waren sehr positiv. Vor allem eine Gruppe von jungen Schwulen. Das war eine angenehme Überraschung, da ich sonst hauptsächlich ein erwachsenes Publikum habe.

Der Journalist war auch da, und am nächsten Tag hatte wir ein langes Gespräch. Ich war nach dem Erfolg des Abends noch etwas high und sprach fröhlich und frei.

Die AIDS-Stiftung half mir mit Presseaufmerksamkeit und Informationsmaterial, die Abende im Bøssehuset waren ausverkauft, und die beiden Aufführungen liefen unglaublich gut.

Es schien, dass meine schräge Sicht auf die vielen herausfordernden Themen so funktionierte, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Der Artikel wurde erst drei Wochen nach der Premiere herausgebracht.

Dafür füllte er acht Seiten der Sonntagszeitung und konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Zeit mit Drogen und besonderen Sexualpraktiken.

Sehr wenig über das Stück und nichts über die Arbeit, die ich geleistet hatte, um mir danach ein gut funktionierendes Leben zu schaffen.

Das Einzige, was er über mein Singen aussagte, war, dass ich ein wilder Kerl war, nicht der Typ, der in Museen dänische Romanzen sang.

Ich singe, würde ich sagen, eine ganz hübsche Romanze.

Ein paar Tage vor der Veröffentlichung bekam ich den Artikel zum Durchlesen, aber ich konnte ihn überhaupt nicht nüchtern lesen. In gewisser Weise hatte ich ja gesagt, was da stand (nicht das mit den Romanzen).

Wieder bin ich zu Eis erstarrt. Es war so überwältigend. Wann wird jemals ein mittel-bekannter klassischer Sänger so viel Platz bekommen? Und dann mit dem Thema!

Am Tag der Veröffentlichung gab es zahlreiche Facebook-Reaktionen und ansonsten Todesstille.

Ich fing an, mir zu sagen, dass ich nach diesem Skandal nie wieder singen würde.

Eine Woche später sollte ich bei einem privaten Benefizkonzert in Berlin mit meinem geliebten Berliner Repertoire der 20er Jahre singen.

Es war ein schöner entspannter Abend, ich war gut bei Stimme, und ein Herr sagte freundlich zu mir: „Sie müssen sehr gefragt sein.“

Ja, wenn es nur so wäre.

Dann hatte ich am nächsten Tag einen erheblichen Substanzrückfall.

ButtStuff 2020. Privatfoto

Neuer Wiederaufbau

Als es nach ein paar Tagen vorbei war, war ich erschöpft, außer mir und traurig.

So viel Arbeit.

War es nur verschwendet? Ich habe dem Journalisten geschrieben. Er war schockiert über die Wirkung des Artikels und fragte, ob er etwas tun könne.

Ich war etwas aufgeregt. Freunde rieten mir, alles liegen zu lassen, mich zu erholen und langsam weiterzumachen. Ein guter Rat.

Ich sagte mir dann, dass eine solche Erfahrung eher eine Gelegenheit wäre, den Kurs zu korrigieren und mich etwas weniger zu pushen.

Es war kein Totalausfall.

Übrigens hatte ich keinen Drang, in diese Vergangenheit zurückzukehren.

Ich hatte mir einen Monat frei genommen.

Ein großer Teil davon verbrachte ich allein an einem spanischen Strand, wo ich mir einredete, dass ich dieses Stück nie wieder spielen würde. In dem Wissen, dass ich es sicher irgendwann wieder machen würde.

Ich versuchte, meine Situation so nüchtern wie möglich zu analysieren.

Meine Höhe war glücklicherweise zurückgekehrt. Ich hatte übersehen, dass eine Testosteron-Supplementierung oft zu einer niedrigeren Stimmlage führt. Die dunkle Wolle war weg.

Ich war immer noch Tenor.

Meine Projekte hatten gut funktioniert. Ich würde wahrscheinlich neue Dinge zu tun bekommen.

Zwei neue Kabarettshows als Grundeinkommen müssten her.

Weiterhin würde ich meine Trostkonzerte geben, die, obwohl ich damit nicht viel Geld verdient hatte, in jeder Hinsicht wirklich schön waren. Ich könnte hier all das an Schubert, Mozart und Bach singen, welches der Kern meines Selbstverständnisses als Sänger ist.

Zusammen mit guten begabten Freunden hatte ich ein Konzept mit anspruchsvoller Poesie und moderner Kompositionsmusik entwickelt, das bei entsprechender Vermittlung ein größeres Publikum sehr gut ansprach.

Was mir fehlte, war ein flexibles junges Ensemble, das mit mir das Repertoire für „Trost in Trauer“ und darüber hinaus elegante Unterhaltungsmusik machen konnte.

Es könnte auch zu meinem Alter passen, meine Erfahrungen weiterzugeben.

Am wichtigsten war mir, mich mit guten Kollegen umzugeben, die ein hohes künstlerisches Niveau und gleichzeitig eine liebevolle Lebenseinstellung hatten.

Die auch im Moment bereit waren, Konzerte für die geringen Honorare zu geben, die ich anbieten konnte, und die ich auch selbst bekam.

Gott erklärte mir, dass eine positive Lebenseinstellung, kombiniert mit Ernährungsumstellung und Sport eine gute Wirkung haben könnte. So habe ich zehn bis fünfzehn Kilo wieder abgenommen. Ich habe MTX abgesetzt, meine Gelenke fühlten sich weiterhin gut an.

Die Arbeit ging weiter.

Den Glanz der Welt mag ich zwar gerne, aber am liebsten mag ich arbeiten, als Sänger zu arbeiten. Jetzt auch als schreibender Gesangsunternehmer.

2019 habe ich ein Kabarett über das wilde Sexualleben in Berlin der zwanziger Jahre auf Deutsch und Dänisch geschrieben und 2020 eines über Dänemark während des zweiten Weltkrieg (den wir Dänen „Die Besatzung“ nennen).

Im Laufe der Jahre habe ich dann die schönen Talente gefunden, mit denen ich jetzt in meinem Ensemble „Die Goldvögel“ arbeite.

Ich habe meine Kabaretts einstudiert und in einer ersten Form aufführen, ruhen und reifen lassen und später dann wieder aufgenommen.

ButtStuff übersetzte ich ins Deutsche und arrangierte ein paar Auftritte in Berlin. Kurz vor dem zweiten Lockdown.

Jetzt bin ich zum ersten Mal in meinem langen Leben auch in Drag aufgetreten. Es war unermesslich grenzüberschreitend. Für mich. Nicht für die Berliner. Auch hier hat das Stück gut funktioniert.

Gelegentlich wurde ich von riesigen wundenreichen Wutgefühlen geplagt. Es war besonders hart, wenn ich einschlafen wollte und wann ich aufwachte. Da lief eine alte schwarze Platte auf Wiederholung mit verletzten Emotionen. Wenn ich noch nicht ganz wach war, wirkten sie sehr authentisch.

Mit war durchaus bewusst, dass die Gefühle überdimensioniert waren, aber natürlich waren sie auch real. Manchmal sprang die Verletztheit von einer Person zur anderen, egal, es war einfach ein Bedürfnis sich verletzt zu fühlen. Sehr unangenehm.

Ich habe mich daran gewöhnt, mir und meiner schwarzen Platte zu sagen, dass ich selbst immer auf mich aufpassen würde. Keine Sorge. Wir schaffen es. Es hat gut funktioniert.

ButtStuff 2020 in Drag und in weiß. Foto Luca Pravato

Lockdown und die Zeit danach

Ich war gerade dabei, ein neues Kabarett zu proben, als im März 2020 plötzlich alles geschlossen war und ich stand total überrascht.

Es war ein großer Schock, komplett aufhören zu müssen, und ich brauchte einige Zeit, um mich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen.

Es war eine Sache, freiwillig allein zu sein, aber etwas anderes, dazu gezwungen zu werden. Und überraschend anstrengend, all die unruhige Angst in der ganzen Gesellschaft zu spüren.

Ich habe meine Auftritte verschieben lassen, habe es geschafft meine Sommer-Trauer-Konzertreihe mit Mundschutz (Publikum) und viel Desinfektion durchzuführen.

Herbst 2020 hatte ich durch die Verschiebungen plötzlich drei Premieren in drei Monaten.

Als alles wieder geschlossen wurde, war ich auch bereit herunterzufahren.

Also habe ich den Stecker gezogen und wieder kam jede Menge Stoff zum Vorschein, der verarbeitet werden musste. Mehr Wut und Schmerz.

Eine der schwierigsten und manchmal unverständlichsten Herausforderungen in all den Jahren war das Gefühl, dass niemand fragte, wie es mir so ging.

Auch wenn ich eingeladen hatte, mich zu stören.

Derjenige, der sich im Heilungsprozess befindet, ist nicht derjenige, der die Hand ausstrecken wird.

Daher ist es für mich selbstverständlich, meine Freunde und Familie zu kontaktieren, wenn sie eine schwierige Zeit durchmachen.

Es war mir klar genug, dass viele mich mögen und auch freundliche Gedanken in meine Richtung schicken. Aber wie wäre es, es aktiv zu zeigen?

Ein guter HIV/Chemsex-Therapeut erklärte mir, dass die Herausforderungen, die er, die ich und die eine Reihe anderer hatten und bewältigen mussten, für andere sehr überwältigend und schwierig erscheinen können.

Wie Trauer und Tod.

Aber es gibt Leute, mit denen man reden kann, und dann geht es darum, sie zu finden.

Es machte für mich sehr viel Sinn, und es hat mir geholfen, noch mehr altes, langweiliges Gepäck wegzuwerfen.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich diesen Artikel hier schreibe.

Es ist mir sicherlich in der Vergangenheit schwergefallen, über diese Themen zu sprechen. Es ist heute viel weniger schwierig, und in fünf Jahren wahrscheinlich noch leichter.

Schwule haben Sex.

Künstler sind oft sehr sensibel und sehr energisch zugleich.

Dinge passieren. Es zählt, was du aus dem machst, was passiert.

Als ich mir über den Winter 2021 „alle“ Filme und Serien auf Netflix angesehen hatte, stellte ich fest, dass ich tatsächlich alles gemacht hatte, was in meinem ursprünglichen gewagten Plan war.

Es war eine große Erleichterung. Es fühlte sich an, als hätte ich nicht mehr das Bedürfnis, mir und anderen etwas beweisen zu müssen.

Wenn ich nicht im Winter unter einer Brücke verhungerte (wenig wahrscheinlich), war mein Kalender voll mit guten Jobs und Konzerten für das Leben auf der anderen Seite.

Ich habe ButtStuff im Folketeatret in Kopenhagen für das World Pride im August 2021 aufgeführt. Das war ein richtiges Fest. Und jetzt machen wir es wieder in Berlin für Ostern 2022 im alten Frauenknast in Lichterfelde.

So, jetzt geht es schräg und munter weiter.

Ich bin zur allgemeinen Beruhigung nicht sexuell abstinent, die wilden Triebe sind aber nicht mehr so überwältigend dringend wie früher.

Der Astrologe hatte offenbar Recht mit seinen Voraussagungen.

Meine schöne kleine Wohnung im 11. Stock in Schöneberg war mein eigenes Kloster. Nah an allem und doch abgelegen.

Hier habe ich gedacht, gefühlt, und gesungen. Und Körper und Seele mit manchem vorbeipassierenden Bruder geteilt.

Es gibt viele Menschen, die mich unterstützt und auf meinem Weg an mich gedacht haben. Ihr wisst, wer ihr seid. Und ich auch!

2020. Foto Luca Pravato