Vor ein paar Jahren hatte ich einen Traum, in dem ich viele unmögliche Herausforderungen durchgehen musste. Als ich endlich in die Realität eintauchte, nachdem ich sie alle durchgegangen war, saß Bodil Gümoes bereit auf einem schönen Feld mit einem drohenden Preis: „Du musst unterrichten. Gesang!“ Das Schwierigste von allem…
Die junge Bodil Juhl, später Gümoes, 50’er Jahre
FRÜHE JAHRE
Bodil wurde am 20. Februar 1935 als Tochter einer alleinerziehenden Mutter geboren und wuchs in sehr armen Verhältnissen auf, ohne jemals ihren Vater zu treffen oder zu wissen, wer er war. Da in ihrer Mutter nicht viel Musik steckte, fragte sie sich gelegentlich, woher ihre Stimme und ihre sehr natürliche Musikalität kamen. Später heiratete ihre Mutter erneut und Bodil hatte einen geliebten Halbbruder. Erst sehr spät im Leben verriet die Mutter, dass Bodils Vater ein reisender Geiger gewesen war.
Konzertprogramm Kgl. Dänische Musikhochschule 1957
Bodil machte sich schon sehr früh in Kopenhagens Gesangsleben einen Namen, sie sang im Dom und besuchte die Kgl. Dänische Musikhochschule und später die Opernakademie. Ihre junge Sopranistin verfügte jedoch nicht über die nötige Technik für die großen Aufgaben, die ihr gestellt wurden, und als sie Mitte 20 war, war sie mehr oder weniger ausgesungen.
Pressefoto 1950’er Jahre
In Kopenhagen fast verlassen und schnell vergessen, reiste Bodil nach Wiesbaden zum berühmten Professor Paul Lohmann. Lohmann hatte viele der großen Sänger Deutschlands ausgebildet und mehrere Lehrbücher verfasst, unter anderem das zentrale Werk „Stimmfehler – Stimmberatung“. Bodil blieb fast ein Jahr in Wiesbaden und baute zusammen mit Lohmann ihre Stimme langsam auf einem deutlich sichereren technischen Fundament wieder auf.
Operndebut Aarhus Theater 1959
KONZERTSÄNGERIN UND GESANGSPÄDAGOGIN
Die Zusammenarbeit mit Lohmann, den sie seitdem viele Male nach Dänemark eingeladen hat, gab Bodil eine neue Mission: Gesangsunterricht. Als sie nach Dänemark zurückkehrte, gab sie ihre Karriere als Opernsängerin mehr oder weniger auf. Bodil wurde Gesangslehrerin und unterrichtete in den folgenden über 40 Jahren an allen Musikhochschulen Dänemarks.
Unter ihren vielen Schülern, Sängern und Gesangslehrern sind von den frühen Jahren große Namen wie Poul Elming, Gitta-Maria Sjöberg und Åsa Bäverstam zu erwähnen, von den späterem und später die jungen, jetzt jüngeren ,Talente Jacob Bloch Jespersen und meine Tenorfreunde Adam Riis, Emil Lykke und Rasmus Gravers.
Die Sängerin und Pädagogin Hanna Hjort erinnert sich: „Bodil war eine sehr begabte und inspirierende Vermittlerin musikalischer Ideen und sie öffnete mir das Universum der Musik. Ihre hervorragende Interpretationen sowohl als Lehrerin als auch als Sängerin haben mir sehr viel bedeutet und die Freude am Singen von Liedern, Opern und nicht zuletzt neuer Musik bereichert!“
Bodils eigene wunderschöne Solostimme wurde für Konzerte, Oratorien und neue Musik verwendet. Ihre große musikalische Liebe galt den deutschen Meistern Bach, Mozart, Schubert, Schumann und nicht zuletzt Hugo Wolf, dessen Italienisches Liederbuch sie viele Male mit dem Bariton Jan Arnholtz und ihrer Freundin Tove Lønskov als Begleiterin aufführte.
Pressefoto 1970’er Jahre
NEUE MUSIK IN AARHUS
In den 1970er und frühen 1980er Jahren war Bodil als Professor an der Musikhochschule in Aarhus eine zentrale Figur in einem goldenen Zeitalter der neuen Kompositionsmusik in Dänemark. Rektor der Musikhochschule war der Komponist Tage Nielsen, dem es gelungen war, Per Nørgård und Karl Aage Rasmussen davon zu überzeugen, sich die Professur für Komposition zu teilen.
Der Einfluss von Per Nørgård sowohl als Komponist als auch als Inspiration für mehrere Generationen von Komponisten und Musikern kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Unter der Leitung von Karl Aage Rasmussen entstand das berühmte Numus-Festival für neue Musik, das über Jahre hinweg internationale Komponisten und Musiker anzog.
Karl Aage Rasmussen war auch Gründer der Ensembles Trio Celeste und Elsinore Players, in denen Bodil und ihr Ehemann, Professor und Percussion-Magier Einar Nielsen zusammen mit dem Gitarristen Erling Møldrup unzählige neue Werke einstudierten und uraufführten. Ein Höhepunkt war eine große Tour unter anderem mit Per Nørgårds Nova Genitura und Seadrift in Mittel- und Südamerika.
Der Beginn der 1980er Jahre war für Bodil eine Zeit des Umbruchs. Nach einer sehr dramatischen (und besprochenen) Ménage à quatre, in der sich Einar in Bodils Schülerin Sofie und Bodil in Einars Schüler Frans verliebten, ließen sich Bodil und Einar scheiden. Bodil bewarb sich um eine Professur bei der Kgl. Dänischen Musikhochschule und bekam sie auch.
Während dieser Zeit entwickelte Bodil auch ein tiefes Interesse an Meditation und besuchte oft das Wachstumszentrum von Jes Bertelsen in Nørre Snede. Zeitweise hatte sie hier auch ein Zuhause. Jes Bertelsen und Neel Fasting erinnern sich mit Respekt und Wärme an Bodils Singen und ihre Anwesenheit im Zentrum.
Gesangslehrer und Gesangs-Studenten Musikhochschule Aarhus 1975
KOPENHAGEN
Wenn es in Aarhus persönliche Dramen gab, dann war die Gruppe der Gesangslehrer des Kopenhagener Musikhochschule in den 1980er Jahren so etwas wie ein professionelles Wespennest. Auf einer Seite befanden sich wohlverdiente Primadonnen beiderlei Geschlechts, die nach einem guten Theaterleben nun großzügig ihre Weisheiten weitergaben. Andererseits kam eine neue Generation von Gesangslehrern mit einer größeren theoretischen/praktischen Grundlage in die physischen Funktionen der Stimme.
Die Methoden des amerikanischen Gesangslehrers Oren Brown waren es, die die Fraktionen wirklich trennten. War er ein Guru oder war er der große Teufel der stimmlichen Offenbarung?
Nach einer fruchtbaren Arbeit mit Kirsten Hermansen war ich 1987 an die Musikhochschule aufgenommen worden. Kirsten gehörte definitiv zum äußeren Flügel der Primadonna-Gruppe. Viele meiner drei Solostunden, die man damals, in den sechs Jahren, man studierte(!), bekamen, begannen mit wütenden Tiraden gegen den schrecklichen Oren Brown. Ich wusste schon Bescheid…
Im Frühjahr 1988 wurde Kirsten krank, ging ins Krankenhaus und wir, ihre Schüler, hatten plötzlich monatelang keinen Gesangsunterricht. Da ging ja wirklich nicht, und ich beschloss, gemeinsam mit Elsebeth Dreisig beim Gesangs-Fachbereichsrat nach einer Vertretung zu fragen.
Bodil war Mitglied des Rates und wahrscheinlich eine der bösen Funktionstechnikerinnen. Also bereitete ich mich auf den Kampf vor, bevor ich sie aufsuchte. Als wir sie mehr oder weniger in eine Ecke quetschten, im 4. Stock hoch oben im H.C. Andersens Boulevard, war sie, zu meiner großen Überraschung, richtig nett. Es ging nämlich wirklich nicht, und Bodil hat in aller Stille dafür gesorgt, dass wir ein paar nette Ersatzlehrerinnen bekamen, während Kirsten sich erholte.
Im darauffolgenden Jahr trat ich selbst zusammen mit Helene Gjerris als Studierendenvertreter dem Gesangs-Fachbereichsrat bei. Bodil, Kirsten Buhl Møller und Else Paaske vertraten die Lehrer. Es war eine sachliche Arbeit, aber es war auch überraschend lustig, in dieser Gruppe zu sein, und ich lernte Bodil als einen absolut ernsthaften Menschen kennen, aber auch mit einem tollen, nicht sehr respektvollen Sinn für Humor.
Leider hatte Kirsten Hermansen nach ihrem Krankenhausaufenthalt etwas von ihrer Lust am Arbeiten verloren und ich fühlte mich gezwungen, die Lehrerin zu wechseln. Wahrscheinlich muss man es selbst ausprobieren, um herauszufinden, wie schwierig es ist, Gesangslehrer zu verlassen, insbesondere natürlich, wenn man aus der Primadonna-Tradition stammt. Aber es war notwendig, und die liebe Bodil wurde meine neue Lehrerin und nach und nach auch meine lebenslange Freundin.
Meisterkurs in Norwegen 1993
ARBEITEN MIT BODIL
Bodil hatte in der Tat viel Inspiration von Oren Browns Techniken erhalten, und es gab einen großen Unterschied zwischen der Vorstellung, wie ich in meine frühere Unterricht an einer Rose riechen sollte, und dem Regiment an Fitness-Stimmübungen, denen Bodil mich ganz leise und unerbittlich unterzog.
Die beiden Lehrmethoden gegeneinander auszuspielen macht auf lange Sicht wenig Sinn. Wie Kirsten Hermansen sagte: „Wie hätte ich alles singen können, was ich gesungen habe, wenn ich nichts über Technik gewusst hätte?“, und es gab keinen der modernen Lehrer, der nicht über ein ausgeprägtes musikalisches Bewusstsein verfügte. Aber jeder Meister und wahrscheinlich auch jedes Zeitalter hat seine ganz eigene Frequenz. Auf einige kann man sich einfach besser einstellen als auf andere.
Bodil sagte während unserer gemeinsamen Stunden sehr wenig, eine aufregende Herausforderung für einen sehr gesprächigen Menschen wie mich. Sie sang eine Übung vor und ich ahmte sie nach. Neue Übung, neue Wiedergabe. Gelegentlich sagte sie „Besser“ (nicht gut, aber immer noch besser). Ihre ursprüngliche deutsche Ausbildung verleugnete sie nicht.
Aber sie war für mich viel mehr als die männlichen Meister, die sie gelegentlich auf ihr Podest stellte. Ihre ruhige und sehr sichere Konzentration war zeitweise fast tranceartig, ein wunderschöner Raum zum Eintreten, meine Stimme liebte die unmöglichen Übungen, die mit den Jahren viel einfacher zu machen waren. Irgendwann begann sie in seltenen Fällen sogar „Gut“ zu sagen.
Bodil konzentrierte sich größtenteils auf die technische Arbeit. Von Zeit zu Zeit beschäftigte sie sich auch intensiv mit der Interpretationsarbeit der Lieder. Als überwältigendes Erlebnis erinnere ich mich, als sie Schumanns Liederkreis Op. 39 zu Gedichten von Joseph von Eichendorff für mich öffnete. Sie hatte ein fast Marianergrav-tiefes Verständnis für die harmonische Entwicklung der Melodien und des Klavierparts und die Bedeutung der Texte, mit denen ich, um es in Solidarität mit meinem jungen Ich zu sagen, damals wahrscheinlich einen eher unmittelbareren Zugang hatte.
Als ich den Evangelistenpart in Bachs Passionen singen musste und mich etwas gekreuzigt fühlte, Jesus auf dem hohen A zu singen, entwarf sie eine Gruppe von Jesus-Übungen, die so gut funktionierten, dass ich nie wirklich Angst hatte, die Stellen bei den Konzerten zu singen.
Vor großen Studentenkonzerten bot mir Bodil großzügigerweise ein paar Stunden vor dem Konzert eine Aufwärmsession an. Ich hätte es sicher selbst machen können, aber es war ein wunderbarer Luxus, mit ihr das Organ zu streicheln und zu spüren, dass wir gemeinsam etwas leisten würden.
Pressefoto 1990’er Jahre
IN NOT UND LUST
Aber was ich Bodil nie vergessen werde, war, als ich kurz nach meinem Debütkonzert richtig krank wurde. Zu diesem Zeitpunkt hätten nach meinem damaligen Selbstverständnis alle Türen offen stehen müssen, stattdessen war der Klang meiner Stimme gedämpft und schwach geworden, und mein Telefon war offenbar kaputt. Mir war nicht klar, wie groß der Schock war, aber Bodil wusste es offensichtlich.
Mehrere Jahre lang gab sie mir jede Woche eine kostenlose Gesangsstunde, weil ich auch kein Geld hatte. In dieser Zeit bewegte es sich nicht viel, aber mit stoischer Ruhe ging sie einfach weiter. Einmal drückte sie wortlos eine Hand auf mein durch das Trauma versteiftes Zwerchfell. Hier war das Problem, aber es brauchte einfach Zeit. Als es endlich wieder elastisch wurde und ich mit meinen Kabarettkonzerten begann, war sie so glücklich und positiv, dass sie zu fast jedem Konzert kam. Und sagte: „Gut!“
Meisterkurs in Zofingen. Barbara Zinniker, Tove Lønskov, Bodil Gümoes, Marie Lalander, Robert Holenstein
MEISTER IN DER SCHWEIZ
Eine Kollegin und Freundin aus der Schweiz, Barbara Zinniker, brauchte Anfang der 1990er Jahre neue musikalische Inspiration. Ich war auf dem Weg zu einem Kurs in Oslo bei Oren Brown (mit dem ich nie eine Verbindung fand). Bodil war Hilfslehrerin im Kurs, Barbara kam mit nach Oslo, und zwischen den beiden entwickelte sich eine sehr enge Beziehung. Barbara reiste danach einige Jahre nach Kopenhagen und nahm Unterricht bei Bodil.
Später fanden Barbara und ihr Kollege Robert Holenstein heraus, wie sie Bodil zusammen mit Tove Lønskov und der Körpertherapeutin Marie Lalander in die Schweiz einladen konnten um Meisterkurse zu geben. Daraus wurde eine schöne Tradition, die über 20 Jahre andauerte.
Robi erzählt aus der Schweiz, wie sehr die Sängerinnen und Sänger aus der Schweiz von Bodils enormem Einsatz profitiert haben. Auch für Bodil war es ein Segen, insbesondere nachdem sie sich von der Musikhochschule zurückgezogen hatte und immer noch viel zu geben hatte.
SPÄTE JAHRE
Bodil reiste bis zu ihrem über 80. Lebensjahr mehrmals im Jahr in die Schweiz. Dann begannen ihre ansonsten enormen Kräfte zu versagen. Das Gehen fiel zunächst schwer, dann wurde das Gehirn nicht mehr so stark durchblutet.
Ich war damals nach Berlin gezogen, habe sie aber jedes Mal besucht, wenn ich in Kopenhagen war. Ich sang ihr von Zeit zu Zeit ein paar Zeilen vor, einerseits weil es etwas Wunderbares war, das wir zusammen gehabt hatten, andererseits aber auch, damit sie ein paar Worte darüber sagen konnte, wie alles momentan aussah.
Besonders gut gefiel ihr mein fröhliches Gemüt und es war immer sehr schön, gemeinsam zu lachen. Eine große Freude bereiteten in all den Jahren ihre Jungs Anders und Peter und nun nicht zuletzt ihr Enkel Olmo.
Es war eine seltsame Erfahrung, als Bodil aufhörte, sich für das Singen zu interessieren. Ich hätte gedacht, dass es das Letzte wäre, was verschwinden würde. Aber sie hat es abgeschaltet. Sie freute sich immer noch über Besuch, doch es wurde ruhiger.
Zeichnung von Jens Gümoes, 1960
Vor einigen Jahren kam Bodil in ein Pflegeheim. Ich konnte sie nicht so oft besuchen, sowohl wegen der Geographie als auch wegen Corona. Als ich einmal kam, war Frans nicht da und sie war sehr unsicher, wer der Herr war, der sie so sehr zu mögen schien. Aber Frans kam und irgendwann kam es triumphierend in Großbuchstaben MADS ELUNG-JENSEN von ihr, als würde sie stolz den Ritter von Randers Fjord präsentieren.
Letzten Monat wurde mir klar, dass Bodil hier am 20. Februar 90 Jahre alt wird, und ich beschloss, diesen Artikel zu schreiben, den Bodil von Natur aus nicht lesen würde. Aber vielleicht liest Frans es ihr vor.
Ich sollte in Kopenhagen singen und hatte zugesagt, vorbeizukommen, als ich aus heiterem Himmel eine Anfrage von Lise-Lotte Gümoes erhielt. Tochter des Pianisten Jens Gümoes, Bodils erstem Ehemann. Lise-Lotte hatte eine Reihe von Fotos und Konzertprogrammen von und mit Bodil herumliegen und wollte sie weitergeben. Ich habe sie jetzt und habe einige davon hier geteilt.
Frans und Bodil sind mittlerweile seit über 40 Jahren zusammen. Ich komme nicht mehr an Bodil heran. Aber Frans kann es, und wenn er mit ihr spricht, weiß auch Bodil, wer ich bin. Das ist sehr schön zu wissen.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Bodil und vielen Dank!
Mads Elung-Jensen und Bodil Gümoes 2018
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